Erklärungsmodelle des “Kranksein”

Je nach Perspektive gibt es unterschiedliche Konzepte und Erklärungsmodelle von Kranksein und Störungen. Diese lassen sich wie folgt klassifizieren:

  • das biologisch-physiologische Modell
    Dieses geht von der Annahme aus, dass Organläsionen, die zu bestimmten Störungen führen, durch genetische, virale, bakterielle, chemische oder physikalische Faktoren verursacht werden. Aus der Diagnose der jeweiligen Störung wird eine entsprechende Therapie abgeleitet, die zur Linderung bzw. Heilung der Störung führen soll. So wird beispielsweise eine affektive oder psychotische Störung ausschließlich auf eine Störung im Transmitterhaushalt zurückgeführt, die aus dieser Perspektive daher auch primär psychopharmakologisch behandelt werden muss.
  • das psychoanalytische Modell
    Dieses Modell versteht Störungen im sozial-kommunikativen und körperlichen Bereich als Resultat von ungelösten, biographisch erworbenen Grundkonflikten (Individuation vs. Abhängigkeit; Kontrolle vs. Unterwerfung, Versorgung vs. Autarkie, Selbstwert- und ödipale Konflikte) und nimmt an, dass es den Betroffenen noch nicht gelungen ist, die hinter den Störungen verborgenen Konflikten zur „Sprache zu bringen“. Unter unbewusster Abwägung der vermeintlichen Konsequenzen werden solche Konflikte aus dem Bewusstsein verdrängt und finden stattdessen in den jeweiligen Symptomen oder Verhaltensauffälligkeiten verschlüsselt und als das vermeintlich „kleinere Übel“ ihren Ausdruck.
  • das verhaltensmedizinische Modell
    • lerntheoretische Paradigma
      Im Rahmen dieses Modells wird abweichendes Verhalten wie beispielsweise eine forcierte Inanspruchnahme medizinischer Versorgungseinrichtungen auf spezifische maladaptive Lernprozesse zurückgeführt, die entweder als Ergebnis von klassischer bzw. operanter Konditionierung oder aber auf ein Lernen am Modell zu betrachten sind.
    • kognitive Paradigma
      Psychische Störungen und Verhaltensauffälligkeiten werden als das Ergebnis von so genannten dysfunktionalen Wahrnehmungs- und Interpretationsmustern verstanden, wie beispielsweise eine ängstliche Fokussierung eines Infarktpatienten auf vermeintlich auffällige Funktionsunregelmäßigkeit seines Herzens.
  • das soziologische Modell 
    Dieses Modell geht davon aus, dass sozioemotionaler Distress, wie niedriger sozialer Status, spezifische Rollenerwartungen und geringe soziale Unterstützung etc. eine erhöhte Erkrankungswahrscheinlichkeit bedingen. Die Störung erscheint hier als Krankheit unter dem Gesichtspunkt der sozialen Rollenzuschreibung, bei dem die Diagnose sozusagen als ‚Etikett‘ sein weiteres Verhalten als Kranker im sozialen Kontext entscheidend beeinflusst. So könnte nach dieser so genannten Labeling-Theorie eine Etikettierung z.B. als AD(H)S einer Familie die Auseinandersetzung mit verborgenen Konflikten, Erwartungen und Ansprüchen erst einmal ersparen, während die Bekanntgabe der Diagnose „HIV-positiv“ stigmatisierend wirksam wäre.
  • das bio-psycho-soziale Modell
    Dieses Modell stellt sozusagen eine Synopsis der biomedizinischen, psychosozialen, psychoanalytischen, verhaltenstherapeutischen und soziologischen Perspektive dar. Hierbei wird eine biologische bzw. psychische Disposition angenommen, die bei unzureichenden Abwehr- und Bewältigungsstrategien unter inneren Stressoren und/oder belastenden Lebens- und Umweltereignissen zur Störungsmanifestation führt.